japanische Malerei: Der Blick in Raum und Zeit

japanische Malerei: Der Blick in Raum und Zeit
japanische Malerei: Der Blick in Raum und Zeit
 
Die Geschichte der japanischen Malerei begann, von wenigen Grabmalereien der Kofun-Zeit abgesehen, nach der Aufnahme des Buddhismus im 6. Jahrhundert. Die ältesten Werke wurden nach koreanischen und chinesischen Vorlagen verschiedenster Stilformen gearbeitet. Die Ende des 7. Jahrhunderts entstandenen vier Buddha-Paradiese auf den Wänden der Goldenen Halle im Hōryūji-Tempel in Nara stehen trotzdem qualitativ sicherlich kaum hinter der gleichzeitigen chinesischen Wandmalerei zurück. In den Malerwerkstätten Naras erlernten noch Laienmaler die lineare Tuschezeichnung auf Seide, Papier oder Leinen und das Kolorieren mit Gold- und Silberfarbe, mineralischen und pflanzlichen Pigmenten. Im frühen 9. Jahrhundert übernahmen die Klöster der Shingon- und Tendai-Schulen des esoterischen Buddhismus die Ausführung der bildsprachlich komplexen, magisch wirksamen Meditationsbilder und Mandara (Mandala), die meist getreue Kopien nach Musterbüchern waren. Erst seit dem 11. Jahrhundert ließ der Glaube an die Wiedergeburt ins »Reine Land« neue Andachtsbilder entstehen wie die »Herabkunft Amitabha-Buddhas« (Amida raigō) - eine Vision Amida-Buddhas, der den Gläubigen ins »Westliche Paradies« heimholen wird. Neben die Mönchs-Maler (»ebusshi«) traten wieder talentierte Laienmaler, denen - wie zuvor bereits den Bildschnitzern - hohe buddhistische Titel verliehen wurden.
 
Der kaiserlichen Hof in Kyōto hat seit der späten Heian-Zeit (898 bis 1185) eine weltliche Malerei gefördert, die sich zunehmend zur rein japanischen Stilform des Yamato-e (= Malerei), entwickeln sollte. Auf Schiebetüren und Stellschirmen der Wohnpaläste waren neben chinesischen Motiven weitläufige Landschaftsbilder zu sehen, deren sanfte Formen und leichte Farben die von der Lyrik besungenen, jahreszeitlichen Schönheiten der Natur verherrlichten. Vor allem die seit dem 10. Jahrhundert florierende Romanliteratur inspirierte zu realistischen Darstellungen von Volk und Aristokratie, die dem Bewusstsein von der Vergänglichkeit alles Irdischen mit teils humorvoll karikierender, teils sentimentaler Einfühlung entsprechen. Das klassische Bildformat ist die Hand- oder Querrolle (Makimono) aus Seide oder Papier, die ein zwar in der Höhe begrenztes, in der Länge aber theoretisch endloses Bildfeld bot. Der handschriftliche Text kann sich mit einzelnen Szenenbildern oder mit längeren, fortlaufenden Bilderzählungen abwechseln oder auf separate Rollen geschrieben sein. In den aus dem frühen 12. Jahrhundert stammenden, jeweils eine Szene enthaltenden Illustrationen zum höfischen »Roman vom Prinzen Genji« erhält der Betrachter durch das Kunstmittel des »weggeblasenen Dachs« Einblick in die intimen Gemächer des Palastes mit ihren hinter Schirmen und Vorhängen verborgenen, in steife Gewänder gehüllten Herren und Damen des Hofes. In den Bildrollen der Legende vom Berg Shigi, dem »Shigisan engi emaki« (1160-70), wird die zeitliche Abfolge des göttlichen Wunderwirkens fortlaufend von rechts nach links gezeigt, wobei die teils von nah, teils von fern gesehenen, durch Wolken oder Nebelschleier verbundenen Szenen wie im Film ineinander übergehen. Die Bildrollenmalerei erreichte in den Illustrationen buddhistischer Heiligenlegenden und kriegerischer Ereignisse im 13. Jahrhundert einen letzten Höhepunkt, verlor danach aber an Lebendigkeit.
 
Seit der Kamakura-Zeit (1192 bis 1333) wurden erneut Techniken und Motive der chinesischen Malerei, vor allem durch den Zen-Buddhismus, nach Japan gebracht. Am Hof der Ashikaga-Herrscher der Muromachi-Zeit (1392 bis 1573) entstanden Kunstsammlungen, die den japanischen Malern einen Begriff von den großen Meistern chinesischer Malerei gaben. Mit der einfarbigen, wie die Schriftkunst auf Pinsel und Tusche konzentrierten Tuschmalerei gelangt ein neuer Kunstbegriff nach Japan. Die Linie wird zum Ausdrucksträger der Persönlichkeit, an Pinselführung und Tuscheauftrag wird der Malprozess nachvollziehbar. Zusammen damit erfuhr die Hängerolle eine Aufwertung: Vom Künstler signiert und von Kalligraphen mit Gedichten beschrieben, schmückte sie die Bildnische im Zen-Tempel, Teehaus und Gelehrtenstudio und diente dort der meditativen Betrachtung. Ihre Motive sind oft zur Erleuchtung führenden Parabeln des Zen-Buddhismus entnommen, zeigen aber auch Pflanzen und Landschaften. Der große Meister Sesshū (* 1420, ✝ 1506), der Begründer der orthodoxen japanischen Tuschmalerei, hat die Landschaftsmalerei in ihrer von der Akademie der Südlichen Song-Dynastie im 12./13. Jahrhundert geprägten, kristallinen Klarheit in Japan heimisch gemacht.
 
Unter den Militärherrschern der Momoyama-Zeit im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts erlebte Japan, nicht zuletzt durch den Handel mit Portugal und Spanien, eine wirtschaftliche Blüte, die auch der japanischen Malerei zu neuem Aufschwung verhalf. Der führenden Kanō-Schule gelang eine Synthese von Tuschmalerei und koloristischer Malerei auf Goldgrund von bisher ungesehener Prachtentfaltung. Die Innenräume der Paläste und Tempel wurden jetzt - von Raum zu Raum verschieden - mit chinesischen und japanischen Landschaften, didaktischen Figurenszenen, Darstellungen von Flora und Fauna in den vier Jahreszeiten und Ansichten berühmter Orte bemalt. Die oft über vier Wände hinweggeführten Kompositionen öffnen scheinbar die Wohnräume in eine paradiesische Welt.
 
Die Vereinigung Japans unter Tokugawa Ieyasu und die Verlegung des Regierungssitzes der Shōgune von Kyōto nach Edo 1603 bescherte Japan einen, wenn auch durch die Abschließung vom Ausland erkauften, über zwei Jahrhunderte dauernden Frieden. Anstelle des Adels traten jetzt immer mehr reiche Kaufleute der großen Städte Kyōto, Ōsaka, Nagoya und Edo als Sponsoren der Künste hervor. Während die von der Oberschicht geförderten Hofmaler der Kanō-Schule den akademischen Standard bis ins 19. Jahrhundert tradierten, kam es unter den bürgerlichen »Stadtmalern« (»machi eshi«), die entweder an chinesische oder an japanische Malstile anknüpften, zur Vermischung verschiedener Schultraditionen.
 
Im frühen 18. Jahrhundert fand die chinesische Literaten-Malerei (japanisch »bunjinga« oder »nanga«) ihre Nachfolger unter Amateurmalern und bürgerlichen Künstlern. Dem Berufsmaler trat nunmehr der von der Autonomie seiner Kunst überzeugte Maler entgegen, der sich zugleich als Gelehrter verstand. Gelehrsamkeit und Kunst gingen auch in der an den wissenschaftlichen Grundlagen westlicher Optik interessierten »Holländischen Malerei« (»ranga«) eine Verbindung ein. In den Experimenten mit Perspektive und anatomischer Zeichnung, Licht- und Schatteneffekten eines Maruyama Ōkyo (* 1733, ✝ 1795) kündigt sich die kreative Auseinandersetzung mit der abendländischen Malerei an.
 
Die von Sōtatsu um 1600 gegründete und von Ogata Kōrin hundert Jahre später wieder belebte Rinpa-Schule vertrat eine bereits von der Tee-Zeremonie geprägte, höfische Geschmacksrichtung, die den Reiz des Zufälligen und Unvollkommenen mit der höfischen Ästhetik der Heian-Zeit assoziierte. Ihre eigentliche Wiedergeburt feierte die Yamato-e-Malerei aber in der Genremalerei der Edo-Zeit und deren spätem Produkt, dem Farbholzschnitt des Ukiyo-e mit seinen »Bildern aus der Vergänglichen Welt«. Den Ukiyo-e-Malern, die sich als japanische Maler verstanden, gelang die Synthese aller Ausdrucksmittel einheimischer, chinesischer und abendländischer Herkunft. Sie schilderten die Welt des Kabuki-Theaters und der Kurtisanen, aber auch das Leben des einfachen Volkes und die Naturschönheiten Japans mit plakativer Einprägsamkeit. Ihre letzten großen Meister, Hokusai (* 1760, ✝ 1849) und Hiroshige (* 1797, ✝ 1858), stehen am Ende einer großen Tradition säkularer Malerei, die in der Weltkunst nicht ihresgleichen hat.
 
Prof. Dr. Doris Ledderose-Croissant
 
 
Elisseeff, Danielle und Elisseeff, Vadime: Japan. Kunst und Kultur. Ins Deutsche übertragen von Hedwig und Walter Burkart. Freiburg im Breisgau u. a. 21987.

Universal-Lexikon. 2012.

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